Unten mit DJ Trittin
Unorte der Popkultur
Das Szenegetränk Weißweinschorle ist eines, von dem ganz besondere Gefahren ausgehen: Es führt zu globaler Erwärmung. In der Berliner Kalkscheune ist es bereits zu für diese Breitengrade enormen Temperatur gekommen, als Jürgen Trittin die DJ-Empore besteigt. Trittin war mal Minister und als solcher zuständig für so unterschiedliche Angelegenheiten wie "Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit". Deshalb trinkt er an diesem Samstagabend keine Weißweinschorle, sondern pfandflaschenweise Radeberger.
Weil es unmöglich geworden ist, Dosenbier einzuschmuggeln, weils Trittin verboten hat, befinden sich auf dem Boden der Toilettenkabinen drei pfandfreie Flachmänner "Hubertus-Tropfen" zu jeweils 20 Milliliter und 35 Volumenprozent. Getrunken hat sie vermutlich Jürgen Trittin höchstselbst, der zuvor angekündigt hatte, dem Punkrock zu seinem Recht zu verhelfen. Von der Imperialistenbrause, die der von einem Sinn fürs Sardonische beseelte Veranstalter ihm auf dem DJ-Pult bereitgestellt hat, lässt er jedenfalls die Finger.
Von den CDs auch. Die werden ihm vom hauseigenen DJ angereicht, mit dem er sich hinter einem Wall von künstlichen Sonnenblumen verschanzt hat. Mit ihm führt Trittin nun Kaskaden von Gesprächen, wenn er nicht mit beiden Zeigefingern auf der DJ-Mische herumtrommelt oder mit seinen kunstledernen "ecco"-Sneakers zaghaft Tanzschritte andeutet. Denn Punkrock hin, Punkrock her: Jürgen Trittin ist keiner der gar zu krawalligen Sorte, sondern ein Mann der Umsicht, Vorsicht und Rücksicht: Mag sein grauer Nadelstreifenanzug durchaus Gebrauchsspuren aufweisen, sind die äußeren Jackettaschen dem Anschein nach noch werksseitig zugenäht. Abgehottet wird nicht, gebölkt erst recht nicht. Zum Abschied wird er ein paar Sätze in ein Mikrophon sprechen, die die verfeindeten Worte "Johnny Cash" und "Joggen" miteinander versöhnen.
Zuvor sind allerdings drei Stunden CD-Abspielerei zu bewältigen. Jürgen Trittin: Er fühlt sich gut, er steht auf Berlin. So schlägt es jedenfalls die Musik vor. Und weil deshalb irgendwie auch schon alles egal ist, sind die Red Hot Chili Peppers mit gleich zwei Stücken ihres schwachen Spätwerks vertreten ('Cant Stop', 'Dani California'). Da Jürgen Trittin in kultureller Hinsicht ein ausgesprochener Freund des Pluralismus ist, setzt es nach der Kalifornienverherrlichung recht bald 'California Uber Alles' von den Dead Kennedys. Zugegeben: Die darin vorgetragene Weltsicht fällt fraglos recht einseitig aus. Also muss zuvor der Klassenfeind Gehör finden: "Watergate does not bother me", behaupten Lynyrd Skynyrd sehr richtig in ihrem immergrünen Song 'Sweet Home Alabama'. Mitternacht ist bereits vorübergezogen, die deutschen Soldaten am Hindukusch dürften allmählich ihren Feldbetten entsteigen und ihr reiches Tagwerk beginnen: 'Blitzkrieg Bop'.
Und schon geht es weiter: 'Keine Macht für niemand', so lautet die überraschende Empfehlung der verstorbenen Band Ton Steine Scherben, deren weiterhin lebendige frühere Managerin Claudia Roth an diesem Abend nach Intro-Recherchen nicht erschienen ist. Gleichwohl erschienen ist indes die übliche Belegschaft dieser regelmäßigen Veranstaltungsreihe eines Berliner Radiosenders, die sich etwas irreführend "Die schöne Party" nennt und in der Hauptsache dazu dient, das Thema der Alterssexualität stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses zu rücken und schon einmal zu veranschaulichen, wie das Nightlife beschaffen sein wird, wenn der Alterspyramide das Blut in den Kopf schießt. Dann wird eine Zeit anbrechen, in der man sich nach Jürgen Trittin und seiner CD-Sammlung, in der Wir Sind Helden ('Die Reklamation') und ein prominenter Saudi-Arabien-Bewohner ('Thriller') gleichberechtigt nebeneinander existieren, noch einmal zurücksehnen wird: Der körperlich jüngere Haus-DJ eröffnet sein Set mit irgendwas, bei dem es sich möglicherweise um Melissa Etheridge oder ähnliches Gedöns handelt.
Genau feststellbar ist das nicht mehr: Betrunkene Damen stolpern gegen Brustkörbe ihnen fremder Personen und gießen ihre Weißweinschorlen auf Hemden und Hosen. Die Globalerwärmung ruft die ersten Überschwemmungskatastrophen hervor. Der Vizefraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen ist daran nicht unschuldig.