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Gleich zu Anfang ihrer Karriere haben sich Portugal. The Man gegen die Vorhersehbarkeit entschieden und machen seit nunmehr 13 Jahren Musik ohne erkennbaren roten Faden. Auch für das neue Album haben sie diesen Grundsatz nicht gebrochen. Es heißt »Woodstock«, hat aber musikalisch herzlich wenig mit den 60ern zu tun, wie John Gourley und Zach Carothers Silvia Silko beim Interview versicherten.
»Ach komm, so
stumpf sind wir nicht!« brummt Zach auf die Frage, ob man dem originalen
Woodstock-Sound nacheifern wolle. Der Bassist von Portugal.The Man klingt wie sein Instrument und
beschränkt sich während des Gesprächs auf ein übersichtliches Vokabular. Ein
regelmäßiges »Yeah« oder »Right« nach den Statements seines Bandkollegen
reichen ihm oft aus. »Wir haben uns schon genug am Sound der 60er und 70er
abgearbeitet«, findet John. »Yeah.« Zach nickt. Ob Letzterer nun Herz, Niere
oder Lunge der Band darstellt, kann diskutiert werden. Dass John das
unermüdlich arbeitende Gehirn ist, dürfte allerdings feststehen. Alle Wege der
Band finden bei dem Sänger ihren Anfang – und sind unergründlich. Passend dazu
zeigt John sich beim Interview in Guru-Kluft: weiße Leinenklamotten, goldener
Schneidezahn, schmale Statur und sanfte Stimme. Würde er morgen den Startschuss
zu seiner eigenen Sekte abfeuern, trüge er schon mal das richtige Outfit. Und
hätte mit Zach vermutlich den passenden ersten Offizier. Zach und John – oder
auch das Krokodil und sein Nilpferd oder Gilligan und der Kapitän. Nur eben mit
Musik. Und dem uneingeschränkten Willen, niemals etikettierbar zu sein.
»Wir könnten uns nicht auf nur ein Genre
beschränken. So kann man als Band doch nicht existieren!« erklärt John. »Kennst du Jet noch? Kein Wunder, dass es die nicht
mehr gibt. Ich meine: Wie viele Rock’n’Roll-Alben kann man machen?« Genregrenzen erschöpfen sich zu schnell, als dass
man sich ihnen unterwerfen würde. Aber auch Plattenbosse scheinen die Jungs
kalt zu lassen. »Die kommen vorbei und verlangen mehr Gitarren oder so. Wenn
wir finden, dass mehr Gitarren in den Song gehören, packen wir auch welche
drauf. Wenn nicht, machen wir es eben so, wie wir es für richtig halten.«
Meistens passiert Letzteres.
Die
Starrköpfigkeit der Band hat sich ausgezahlt. 2011 veröffentlichten sie »In The
Mountain In The Cloud« und knüpften dadurch einflussreiche Bekanntschaften.
»Wir haben angefangen, mit Danger Mouse zu arbeiten, und dabei ist ›Evil
Friends‹ entstanden. Dann hat er uns sein Studio überlassen, um ein paar Fährten
zu verfolgen.« John erzählt das, als wäre es keine große Sache – Ideen suchen,
am besten beim Abhängen mit ein paar Freunden: Mike D von den Beastie Boys,
John Hill oder Casey Bates schrauben gemeinsam fröhlich an »Woodstock« herum,
trinken ein Paar Bier, werfen ein Paar Darts. Was man halt so macht. »Die
Arbeit an diesem Album war schon ziemlich cool!« gibt John zu und grinst.
Gute
Atmosphäre im Studio, hier mal ein bisschen was ausprobieren, da mal ein
bisschen Name-Dropping veranstalten und sich für das alles locker drei Jahre
Zeit nehmen. Mit Woodstock hat das nicht viel zu tun – genauso wenig wie die
Songs auf der gleichnamigen Platte. »Es war wie ein Trigger. Ich habe das alte
Woodstock-Ticket meines Vaters gefunden und darüber nachgedacht, wie wichtig
Musik damals war. Und diese Wirkung und Macht haben Musiker auch heute noch.« –
»Right«, findet Zach. John illustriert seine Erkenntnis an einem mittelmäßig
verständlichen Beispiel: »Ein
DJ, der ›99 Problems‹ auflegt, tut im Prinzip dasselbe wie damals Joe Cocker,
als er auf der Woodstock-Bühne sein legendäres Beatles-Cover gesungen hat.« – Hä? Geht es um Sampling? Um das Übersetzen
von Kunst in einen eigenen Stil? Um die Idee, die weitergetragen wird? »Ja.
Alles. Oder?« Aha! ... Hä?
John grübelt,
während Zach ergänzt: »Schau mal, ich bin echt nicht politisch, ich bin
höchstens Anarchist. Aber heutzutage werden menschliche Themen politisiert.
Also müssen sich Menschen auch politisieren. So wie damals in den 60ern.« John
führt den Gedanken weiter: »Genau! Schau dich doch mal um: Trump, Le Pen,
Mauern, Terror und der ganze Scheiß, der nichts anderes bewirkt, als uns alle
voneinander zu trennen. Deshalb haben wir als Opener auch Richie Havens
Woodstock-Version von ›Motherless Child‹ eingesetzt: Wir fühlen
uns alle gerade vielleicht einsam und verzweifelt. Aber es ist, wie es ist: Die
Linie wurde in den Sand gezogen, und du kannst nicht mehr daneben stehen und
Beachball spielen. Du musst eine Seite wählen, um die Mauern einzureißen!« So wie die Mauern des Songwritings? »Ja,
genau. Wir wollen auf ›Woodstock‹ das Gefühl eines guten Festivals vermitteln.
Es gibt den Rock-, den HipHop- und den Electro-Song. Wenn du auf ein Festival
gehst, willst du doch auch etwas Neues entdecken!« – »Right!« Zach sieht das
auch so. – »Und wenn ich dir ein Mixtape machte, würden sich darauf Missy
Elliott und Jimi Hendrix treffen. So ist es auch auf ›Woodstock‹.«
Alles völlig
klar also: ein fröhlicher Blumenstrauß an Bedeutungen, der auf »Woodstock« für
eine herrlich explosive Mischung sorgt. Plötzlich passt auch das Cover zur
Platte: ein brennender Rolls-Royce. Fotograf und Künstler Josh Welch
hat den Schnappschuss auf dem Weg nach Disneyland gemacht. Es war ein Zufall,
der Portugal.The Man dazu verleitet hat, zum ersten Mal kein von John
gezeichnetes Werk zu verwenden. »Dieses Bild ist perfekt. Es ist das richtige
Symbol für unsere Welt: Es geht um zu viel Reichtum, und alles sollte brennen.«
Das klingt ganz schön aggressiv. »Ja klar! Nur über Frieden zu singen bringt ja
auch nichts. Wir sind doch keine Hippies!«
Portugal. The Man
Woodstock
Release: 16.06.2017
℗ 2017 Atlantic Recording Corporation for the United States and WEA International Inc. for the world outside of the United States. A Warner Music Group Company
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