Der Blick von oben
Lea W. Frey im Gespräch
Ich fand den Ort schon seit meiner Jugend toll. Ich bin in Berlin aufgewachsen und wir haben manchmal auf dem Drachenberg nebenan die Schule geschwänzt. Das ist ja eine der ganz wenigen Erhöhungen in Berlin. Dieses Gefühl auf die Stadt hinabzublicken, gibt es hier sonst nicht. Irgendwann ging es dann los, dass die Station geöffnet und abgesichert wurde. Das läuft über einen Verein, dessen Vorsitzenden ich über ein paar Ecken durch meine Mutter kennengelernt habe. Er ist selbst Performance-Künstler, mochte meine Musik – und so kam die Idee auf. Ganz leicht war es trotzdem nicht: Die Leute im Verein sind kreative Hippies, dann gibt es aber noch einen Pächter, potentielle Investoren – das sind sehr viele Parteien, die ich überzeugen musste, aber irgendwie hab ich es geschafft. Die waren im Großen und Ganzen glaub ich auch sehr glücklich damit, weil ich mich gekümmert habe. Ich fand den Tag schon abgefahren: Dieser Gedanke, dass das Publikum mit mir da hochkraxeln und auch physisch ankommen musste, um mich spielen zu sehen ...
Wie fühlte es sich denn an, inmitten der Kuppel zu stehen und ohne Mikrofon zu singen?
Für Angst ist da keine Zeit: Ich musste den Raum ausfüllen und gleichzeitig vor dieser düsteren, abgerockten Kulisse darauf achten, dass es nicht zu bedeutungsschwanger wird. Da konnte ich mir wenig Gedanken darüber machen, wie ich fühle.
Auf »Plateaus« geht es oft um diesen Blick von oben – was ja sehr gut zur Location passte. Stand das Konzept da schon, obwohl das Album dann erst ein paar Monate später kam?
Das Album war fertig. Es ging mir dabei aber eher so um das Grundgefühl. Ich fälle solche Entscheidungen nicht bewusst im Vorfeld. Die Musik gehörte da irgendwie hin. Und die Idee dort zu spielen hatte ich schon länger. Es war eher ein Perfect Match zwischen Ort und Thema.
Auf »We Can’t Rewind« und »How Soon Is Now« hast du in erstler Linie fremde Songs neu eingespielt, von Dylan über Joy Division bis zu The Smiths. Der Übergang zu eigenen Songs klingt nun geradezu mühelos. War es wirklich so smooth?
Ja, ich habe schon immer Songs geschrieben. Ich bin nur wieder da hingegangen, wo ich schon einmal war. Es stand eh im Raum, dass das passiert. Eigentlich waren die Cover der Ausflug. Ich habe mit 16 angefangen, in Bands meine eigenen Texte zu singen. Das war kein neuer Prozess für mich. Es hat diesmal eben seine Zeit gebraucht. Ich habe für »Plateaus« schon seit fünf Jahren Texte und Songs gesammelt.
Ich bin ja großer Freund des guten Covers. Oder vielmehr: einer guten Neuinterpretation. Trotzdem hat es ja manchmal einen schlechten Ruf, weil eben diese ganzen Schützenfestcombos ja auch »covern«. Ist dir dieses Vorurteil mal begegnet, dass dich jemand als »Coveract« disst?
Wir sind inzwischen extrem sensibilisiert. Wir wissen, was man machen kann und was man lieber lässt. Man muss sich die Stücke zu eigen machen und komplett durchfiltern – und dann erst entsteht eine eigenständige Version. Ich finde das Wort Interpretation eigentlich cool. Wir haben zum Beispiel ein Bob Dylan Stück gecovert, bei dem wir lange diskutiert haben, ob man das bringen kann. Das mach ich immer noch so. Kürzlich kam eine Anfrage für ein Kate-Bush-Projekt und bei sowas überlege ich sehr lange, weil es eben eine diffizile Angelegenheit ist. Das Dylan-Stück wird inzwischen übrigens am häufigsten im Radio gespielt. Ist ja auch eine schöne Bestätigung, dass wir richtig lagen mit unserer Version.
Ich glaub schon. Sie hat es beflügelt, würde ich sagen. Wenn man in fremde Lieder eintaucht und es sich mit ihnen nicht so leicht macht, dann stößt man auf gewisse Systeme oder menschliche Sichtweisen, die einen selbst weiterbringen. Und ich habe kaum noch Berührungsängste, weil ich mich an Songs herangetastet habe, die ja in der Musikgeschichte manchmal übergroß erscheinen.
In einem früheren Interview hast du gesagt, das Album trage auch »Wut auf Gentrifizierung und Umweltfragen« in sich. Kannst du das noch einmal konkreter erläutern?
Ich würde niemals sagen, dass mein Schaffen politisch motiviert ist, aber ich würde mal behaupten, dass jeder, der sich in dieser Stadt bewegt, egal was er macht und wo er sich verortet, selbst auf eine Weise politisch unterwegs ist – und deshalb jeder Text von mir auch eine Spiegelung davon ist. Politik gehört immer dazu, und diese Dynamiken, die hier passieren, sind direkt vor meiner Haustür. Ich bin hier aufgewachsen und dieses rasante Tempo, die Reizüberflutung und die Art wie die Stadt an einigen Stellen geradezu aufgerissen wird – das ist eine sehr emotionale Geschichte für mich. Wut passt da schon ganz gut, ist aber vielleicht ein wenig zu stark. Es ist eher so, dass ich oft rufen möchte: „Alter, was passiert hier eigentlich?“ Diese große Irritation und dieses »lost« sein, bringt aber auch immer wieder eine Liebe für Berlin in mir auf.
Und was meintest du mit dem Umwelt-Thema?
Das war für mich eine Art Auslöser: Ich habe eine Doku gesehen über einen Zugvogel, der sich in den Bergen verirrt hat, weil sich das Klima so verändert, dass er die Route nicht mehr findet. »Mountains Die«, zu dem wir auch ein Video aufgenommen haben, handelt davon. Dieses Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo es langgeht – das war schon eine Initialzündung für das Album, gerade in Verbindung mit diesem Zugvogel-Bild.
Ich fand es interessant, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen dich bisher gar nicht so auf dem Schirm hatten, weil du oft nicht im Indie- sondern im Jazz- und Klassik-Kosmos verortet wirst. Machst du selbst Unterschiede zwischen diesen Welten, die sich ja oft kritisch beäugen?
Ich versuche das komplett zu vergessen – und die Presse wird langsam auch entspannter damit. Für mich ist das ja normal: Seitdem ich angefangen habe in meiner kleinen Rockband zu singen und parallel klassischen Gesangsunterricht hatte – aber die Band heimlich machen musste – zieht sich das durch mein ganzes Leben. Es ist eben irgendwie ein wenig komisch ist, was ich mache. Mir geht es im Grunde um die Musik, so abgedroschen das auch klingt. Die klingt diesmal vielleicht nach Pop und Indie. Und die anderen Sachen, die ich gemacht habe und wo ich vielleicht auch ein wenig zuhause bin – egal ob Jazz oder Klassik – die sind wie Studien für mich. In der Malerei ist das ganz normal: Da lernt jeder Maler in der Kunsthochschule, durch diese Welten zu gehen und dann kommt der doch mit seiner eigenen Farbe auf die Leinwand. Ich versuche, diese Grenzen nicht mitzudenken. Ich spüre sie oft gar nicht.
Moment, du hattest die Band heimlich?
Ja, genau. Meine Gesangslehrerin hat sie mir in meiner Jugend verboten. Sie wird mich hassen dafür, dass ich das erzähle, aber so war es. Sie war eine Hardcore-Klassikerin, die übrigens heimlich geraucht hat, und meinte: »Du bist begabt, in einem Jahr bring ich dich an die Hochschule und du studierst Klassik!« Und ich so: »Ok, stopp!« Als sie mir dann auch noch sagte, ich soll die Band nicht mehr haben, wurde ich natürlich immer bockiger. Ich habe dann beides gemacht, und bin nicht an die Hochschule. Dieses Konforme, das es da brauchte, passte nicht zu meinem Verständnis von Musik. Und sagen wir so: Ich fühle mich im Indie auch zuhausiger.

Lea W. Frey
Plateaus
Release: 22.09.2017
℗ 2017 yellowbird, werner aldinger