Unabhängigkeitserklärungen
»Parallel Planes« beim Dok Leipzig
2011 und 2012 war Nicole Wegner zudem mit der Kamera unterwegs, um einer Sache auf den Grund zu gehen, die wohl sämtliche Künstlerinnen und Künstler umtreibt, die unter den Bedingungen des Kapitalismus Kulturarbeit verrichten, ohne dabei zuvorderst oder überhaupt an die Kohle zu denken: »Warum mache ich das eigentlich?«
Ihrer musikalischen Sozialisation und ihren Präferenzen in Sachen Haltung und Sound folgend, sprach sie zu dem Thema der mal erfüllenden, meist prekären Lebensverhältnisse zwischen Proberaum und Bühne mit Musikern und Musikerinnen aus einem musikalischen Umfeld, das sich grob in den Schubladen Hardcore, Noise, No Wave, Improv und Postpostwhatsoever verorten lässt.
Der Dokumentarfilm oder der filmische Essay »Parallel Planes« – der durch die Konfrontation solcher Underground-Typen wie Greg Saunier von Deerhoof, Ian MacKaye von Minor Threat, Jenny Hoyston von Erase Errata oder Otto von Schirach mit den Fragen nach dem Sinn ihres Schaffens und den Motiven dahinter entstand – vermittelt nebenbei ein Lebensgefühl des Schöpferischen und Erschöpfenden, atmet den Vibe des Unterwegsseins, Augenoffenhaltens, Insichgehens und Aussichherausplatzens. Gleich in der ersten Filmszene ist die Stimme der Regisseurin aus dem Off zu vernehmen. Wir sehen eine blinkende Leuchtschrift und bekommen mit, wie sie diese auf eine bestimmte Art zu lesen versucht. Es entsteht ein Missverständnis mit einer weiteren Person, die den Schriftzug rückwärts ausspricht. Sie habe versucht, das Wort versetzt zu lesen, erklärt Wegner ihre Herangehensweise.
Und so muss man letztlich ihren Film sehen: »Parallel Planes« ist eine klug inszenierte, gewitzte Verschachtelung von Versatzstücken, ohne die eine Antwort auf die Ausgangfrage nach dem »Warum« in der Kunst gar nicht zu finden wäre. Zu diesem Puzzle gehören die Road-Movie-Aufnahmen von ihren Trips nach New York, Portland, San Francisco, San Diego sowie weiteren Orten, die hierzulande als Epizentren der US-amerikanischen Alternative-Popkultur gelten. Diese Schnipsel sind keine Abfallprodukte oder Lückenfüller. Sie dürften die Sehnsucht der Filmemacherin selbst veranschaulichen, etwas hinter sich zu lassen und gleichzeitig etwas anderes erreichen zu wollen. Zusätzlich vermitteln sie ohne romantische Untertöne einen Eindruck vom Alltag tourender Musiker in einer kleiner aber nicht feiner werdenden Welt. Gepäckstücke, die ins Flugzeug geladen werden, halbwegs pittoreske Landschaften, die an einem vorbeiziehen, während man ein neues Lied im Kopf hat – oder einfach Kopfschmerzen. Und immer wieder Straßenzüge; sozusagen die Charakterfalten in den Gesichtern der Städte, deren musikalischen Szenen Wegner in ihrem Film eine sichtbare Gestalt verleiht. Wunderbarerweise schafft sie es auf diese Weise, den Individualisten vor der Kamera Raum anzubieten, ohne deren Milieuhintergründe zu unterschlagen, und lässt gesellschaftliche Zusammenhänge sowie Zwänge spielerisch in die vielen Erzählungen von Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung miteinfließen.
Neben den verdammt beeindruckenden Live-Aufnahmen der porträtierten Musiker und ihrer Bands wie The Flying Luttenbachers oder Xiu Xiu, stehen die Frage-Antwort-Spielchen mit den einzelnen Künstlern im Fokus. Hier kommt der Filmemacherin spürbar ihre Erfahrung als Galeristin, das heißt als Gastgeberin zugute. Fast wirkt es so, als habe sie ihren Off-Space mit sich genommen, verleibe ihm alles beim Reisen zu Erlebende als temporäre Ausstellung ein und biete den befragten Künstlern im Austausch eine freundliche Einladung in diesen Space an. Die Atmosphäre, die Nicole Wegner zwischen sich und den Mitwirkenden entstehen lässt, ist für »Parallel Planes« sinnstiftend, ja liefert fast schon eine eigene Antwort auf die Eingangsfrage: Im Austausch und in passenden Konstellationen ergibt sich der Sinn dessen, was man tut. Dieser schöne Dokumentarfilmessay ist selbst der beste Beweis dafür.